Impuls zum 26. Oktober 2025
Von Susanne Warmuth (Aschaffenburg) – Geistliche Beirätin im DV Würzburg
Von Demut und Hochmut
Demut und Hochmut sind „altmodische“ Begriffe und werden heute selten verwendet.
Was sie aber aussagen wollen, ist den meisten (noch) bekannt. Wie diese Haltungen in der Öffentlichkeit bewertet werden, hat sich in den letzten Jahren jedoch sehr verändert.
Wenn heute eine Person (im durchaus positiven Sinn) demütig und bescheiden ist, dann wird sie oft belächelt oder bemitleidet. Wenn dagegen ein Mensch eine exzessive Selbstdarstellung pflegt, die bis zur Überheblichkeit reicht, dann hat er gute Chancen im öffentlichen Leben gehört zu werden und „anzukommen“.
Von Demut und Hochmut handeln auch die Texte des heutigen Sonntags.
Lesung Sir 35, 15b-17.20-22a
Der Herr ist Richter und es gibt vor ihm kein Ansehen der Person. Er bevorzugt niemanden gegenüber einem Armen, die Bitte eines ungerecht Behandelten wird er erhören. Er missachtet nicht den Hilferuf der Waise und die Witwe, wenn sie ihren Jammer ausschüttet. Wer Gott wohlgefällig dient, wird angenommen und seine Bitte dringt bis in die Wolken. Das Gebet eines Demütigen durchdringt die Wolken, und bevor es nicht angekommen ist, wird er nicht getröstet und er lässt nicht nach, bis der Höchste daraufschaut. Und er wird für die Gerechten entscheiden und ein Urteil fällen.
Evangelium Lk 18, 9 – 14
In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Gleichnis: Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Das heutige Evangelium - ein bekannter Text
Die Perikope vom Pharisäer und Zöllner gehört zu den Evangelientexten, die uns bekannt sind. Da hört man vielleicht auch nicht mehr so genau hin, denn was der Text aussagen will, scheint zunächst ziemlich eindeutig zu sein. Da wird von zwei Männer berichtet, die im Tempel beten. Der Pharisäer lobt sich selbst
und zählt seine Vorzüge auf. Er erhebt sich über den Zöllner, der in seinen Augen moralisch minderwertig ist. Der Zöllner bleibt ganz hinten im Tempel stehen, er fühlt sich als Sünder und bittet Gott um seine Gnade. Auch den Ausgang der Geschichte kennen wir. Der Zöllner wird wegen seiner Haltung von Jesu gelobt, der Pharisäer kommt dagegen überhaupt nicht gut weg. Der bekannte Text verführt dazu, einen Gegensatz zwischen Pharisäern und Zöllner zu sehen, innerlich sofort Partei zu ergreifen für eine Seite, auch uns selbst oder andere Menschen in Schubladen einzuordnen. Aber wir sollten genauer hinsehen.
An wen ist der Text gerichtet?
Adressaten des Textes sind nicht die Pharisäer und Zöllner. Wenn wir den Zusammen-hang berücksichtigen, in dem der Text im Kapitel 18 steht, dann merken wir, dass sich die Rede Jesu an die Jünger richtet. Es ist eine Mahnung an die Nachfolger Jesu, sich anderen nicht moralisch überlegen zu fühlen. Jesu erzählt dieses Gleichnis „einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten“, so steht im Text gleich zu Beginn.
Keine vorschnellen Urteile
Das Evangelium will mich ermahnen, keine vorschnellen Urteile über andere Menschen zu fällen, sondern genauer hinzuschauen. Den Menschen als ganzen zu sehen und nicht nur einem Ausschnitt von ihm. Dann ergibt sich aber auch die Frage: Ist es mir überhaupt erlaubt, umfassende Urteile über andere Menschen zu fällen? Darf ich mir so etwas anmaßen?
Keine vorschnellen Urteile zu fällen, das ist für mich eine der Hauptaussagen des heutigen Evangeliums. Allerdings kann ich da über eine Irritation nicht hinwegsehen.
Wir hören das schroffe Urteil Jesu (oder ist es das Ergebnis der Redaktionsarbeit des Evangelisten Lukas?) über die Haltung des Pharisäers. Diesem wird keine Möglichkeit zur Einsicht oder Umkehr aufgezeigt. Jesus sagt lediglich, dass jener ungerechtfertigt nach Hause ging.
Ich könnte nun Argumente finden, die Erklärungen dafür geben (z.B. Jesus verurteilt nur die Haltung des Pharisäers, nicht seine Person). Aber ich muss gestehen, es bleibt ein gewisses Unbehagen bei mir zurück.
Sich nicht vergleichen
Ein anderer Aspekt des Textes soll nicht vergessen werden. Sich mit anderen zu vergleichen, ist oft keine gute Idee. Wer ist besser, intelligenter, beliebter, erfolgreicher, hat mehr Ansehen bei den Menschen oder bei Gott? Wer hat mehr zu „bieten“ in Bezug auf Wissen und Kenntnisse, innere Haltung, größere Frömmigkeit, Liebe zu Gott, moralische Integrität? Führt das nicht oft dazu, sich selbst rechtfertigen zu wollen oder größer zu machen zu wollen als man ist?
Da ist auf der einen Seite das „Sich-größer-machen-wollen-als-andere“ und auf der anderen Seite das „Sich-kleiner-machen-als-man-ist“. Beides ist in meinen Augen nicht richtig. Auch wer demütig und bescheiden ist, sollte sich vor Gott und den Menschen nicht kleiner machen, sondern selbstbewusst auftreten.
Ehrlichkeit ist gefragt
Statt sich mit anderen zu vergleichen, ist es angebracht, ehrlicher auf das eigene Leben zu schauen. Welche Fähigkeiten hat Gott mir geschenkt? Bin ich mir selbst treu in meinem Leben? Was ist meine Aufgabe, meine „Berufung“? Da bleibt dann kein Platz mehr für eine ungute Konkurrenz mit anderen. Es geht um die Ehrlichkeit vor mir selbst und vor Gott.
Eine Geschichte aus dem Judentum erzählt das so:
Vor seinem Ende sprach Rabbi Sussja:
„In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen:
Warum bist du nicht Mose gewesen?
Man wird mich auch nicht fragen:
Warum bist du nicht David gewesen?
Vielmehr wird man mich fragen:
Warum bist du nicht Sussja gewesen?“
Chassidische Geschichte 372 – nach Martin Buber